Der Herbst des Lebens zieht ins Land, die Tage werden kürzer, die Schatten länger. Es ist hoch an der Zeit, sich noch einmal auf den Weg zu machen. Spannende Menschen treffen. Über Wunder staunen, die da draußen auf den warten, der sie sehen mag. Auf unserer Reise zu uns selbst pilgern wir dieses Mal nach Cinque Terre, segeln nach Palermo, fliegen mit dem Adler aus Mandello in die älteste Stadt Europas und landen in Maria di Leuca, dem einstigen italienischen Ende der Welt.

Cinque Terre, Sizilien, Kalabrien, Apulien

 

Der Tanz auf dem Vulkan

Geschichten einer italienischen Reise

von und mit Gernot & Lisi Stadler

Halbzeit der italienischen Stiefelrunde. Ich sitze im Whirlpool unseres Trullis in Alberobello und entscheide mich, die Reise hier und heute abzubrechen. Nichts wird es mit dem Luxus-Diner in der Grotte Palazzese von Polignano. Kein romantischer Abend in Vieste, kein Ritt über den Gran Sasso und keine Nacht dort, wo die Gondeln Trauer tragen. Stattdessen geht es morgen direttissima ab nach Hause, 1.200 km über glühende Stiefelautostradas. Also berichte ich über eine Motorradtour, die Ende Mai am Bodensee beginnt und bis ans italienische Ende der Welt führen wird. Und zurück.

 

Ein erster Cappuccino auf der italienischen Seite des Passo di Spluga.

Tag 01: Feldkirch – Mandello del Lario (205 km)

Pantaloni morti in Mandello

Die Moto Guzzi V85TT ist völlig überladen, das Bankkonto restlos geplündert, Lisi ist bereit und ein paar Freunde werden uns ein Stück weit begleiten. Das Wetter überrascht positiv, die Straßen sind leer und auf der Splügen-Passhöhe winken freundliche Carabinieri. Ich zähle die letzten Schneefelder, Lisi zählt die Tornanti runter ins Tal, bei 59 hört sie auf. Klassischer Cappuccino am Kreisverkehr von Chiavenna. 205 Kilometer nach dem Start dann der Landeanflug auf Mandello del Lario, dem Geburtsort der Adler. Außer uns freut sich niemand, denn Mandello am Montag ist gleichbedeutend wie Pantaloni Morti (Anm: Tote Hose). Das rote Fabrikstor: wie (fast) immer geschlossen. Die Kult-Pizzeria „Al Ghezz” am Lido unten: Ruhetag. Überhaupt alle Restaurants am Ufer des Comosees: chiuso. Dafür keine Wartezeiten beim Selfie-Shooting am Guzzi-Denkmal. Ganz alleine steht er da, der marmorne Carlo und wartet auf seine tägliche Dosis an Umarmungen. Nach dem fotografischen Geherze dann noch ein versöhnliches Ende der Futtersuche: feine Pizza, gleich neben dem Denkmal, bevor wir uns in unseren kuscheligen, warmen, gemütlichen Adlerhorst „Torre del Barbarossa” verziehen, hoch oben über der Stadt.

Iseo – malerischer Ausgangspunkt für jede große Motorradtour.

Tag 02: Mandello del Lario – Iseo (88 km)

Aquaplaning in der Hotelbar

Das Frühstück bei Gastgeber Steffano ist traum-, das Wetter dagegen alptraumhaft. Wir stampfen bei schwerer See auf der SS342 und der A4 durch die Schifferei an Bergamo vorbei, kämpfen uns tapfer durch die LKW Kolonnen und ankern tropfnass aber gut gelaunt in Iseo. Dort direkt am See und im Herzen der Stadt liegt das Hotel Ambra direkt am Ufer des Iseo Sees, das wir immer wieder gerne anlaufen. Erster Lichtblick: der kleine Hotel-Welpe, der vor Freude die Fliesen nässt – Aquaplaning in der Hotelbar, sozusagen. Aus der Promenade und dem malerischen Sonnenuntergang wird es leider nichts mehr, ein köstliches Eis und ein paar Schritte über die romantischen, venezianischen Plätze gehen sich jedoch aus. Und darüber hinaus trinken wir uns Iseo schön, was uns gar nicht so schwer fällt.

Der Strand von Bonassola, einen Monat vor der Hochsaison.

Tag 03: Iseo – Bonassola

Nebel auf dem Pass der Hundert Kreuze

Wir starten früh im Wissen, was auf uns zukommt: Italiens Po und seine Ebene, westlich vorbei an Brescia, östlich vorbei an Cremona und dabei immer Richtung Süden. Die Sonne lacht und der Duft der Schweine wechselt sich mit dem Gestank des Weizens ab. Ausgetrocknet machen wir Halt in Medesano bei Anna und ihrer wunderbaren Trattoria. Hausgemachte Cappelletti, feinster Parma Prosciutto, Salame artigianale und ein Espresso, in dem der Löffel stecken bleibt. Zum feierlichen Abschluss darf ich noch in die Küche zum Fotografieren. Anschließend geht es auf der SS 523 über Eugens Hügel streng nach Süden und die Straßenführung präsentiert sich als asphaltierte Konkurrenz zu Sardinien und Südtirol. Elegantes Surfen durch neuerlichen Regen im Nebel des „Passo di Cento Croci”, der die Emilia Romagna mit Ligurien verbindet. Zehn Kilometer Einsamkeit, Spuren verbrannter Föhrenwälder und enge, steile Kehren begleiten uns in den krassen Sturzanflug auf Bonassola, der stillen Alternative zur touristisch überlaufenen Cinque Terre. Wir genießen den einsamen Strand und bis auf eine kleine Tapasbar ist alles geschlossen. Die „Pension Moderna” entspricht nicht ganz ihrem Namen aber mit ihrem morbiden Charme berührt die alte Villa unsere italophile Herzen. Dass der Zug nur ein paar Meter neben unserem Zimmer im 2. Stock vorbei donnert, erinnert uns die ganze Nacht daran, dass wir morgen die berühmten fünf Dörfer per Bahn bereisen wollen.

Vom Winde verweht in Riomaggiore.

Tag 04: Ruhetag in Cinque Terre

Der einbeinige Koloss von Monterosso

Wir singen „es fährt ein Zug nach Irgendwo” im Bahnhöfchen von Bonassola und wenige Minuten später spuckt uns der Tatzelwurm in Riomaggiore aus. Menschenmassen ohne Ende, Regen ohne Ende, Sturm in Orkanstärke. Lisi steckt sich gegen den Wind Tempo in die Ohren und wir lassen uns mit der „Homo Touristico” Kolonne durch die engen Gassen treiben. Dasselbe in Manarola und auch in Vernazza lamentieren wir über die Touristenmassen wohl wissend, dass auch wir selbst Teil des Problems sind. Etwas später am Tag landen wir in Monterosso, von den Menschen her der aktuell ruhigste Ort der fünf Dörfer – und mit dem 15m hohen Neptun, der seit 1910 die private „Villa Pastine” bewacht, sogar einer der interessantesten Plätze mit dem einzigen echten Sandstrand der Küste. Der Koloss aus Stahl und Zement wurde im 2. Weltkrieg bombardiert und seither fehlt „Il Gigante” ein Bein und der Dreispitz. Wir nutzen die Zeit bis der Zug kommt und nippen mit großer Hingabe an einer italienische Spezialität namens „Caipirinha”. Gut aufgewärmt und endlich wieder in Bonassola angekommen vergraben wir uns noch ein wenig tiefer in die Welt der Promille, bevor wir lustig den zweiten Stock unseres Bahnhofs erklimmen.

Minikreuzfahrt von Livorno nach Palermo.

Tag 05: Livorno – Sizilien

Unter Seeräuberflagge nach Palermo

Der nach dem Ruhetag-Tag beginnt fahrtechnisch auf hohem Niveau. Wir begegnen der wunderbaren, asphaltschönen und vom Morgenregen sauber gespülten SS1 und cruisen recht sportlich durch das hügelige Hinterland der Cinque Terre, bevor wir drei Fehler begehen. Fehler Nummer 1: unsere Entscheidung, von La Spezia bis Pisa nicht die Autobahn zu nehmen: langweilige Geraden, stressige Marmor LKWs, Staus in jedem zweiten Ort. Auch den schiefen Turm rücken wir nicht gerade, weil erneut eine dunkelschwarze Regenwand ihren Platz genau über Pisa mit Blitz und Donner verteidigt. Fehler Nummer 2: wir checken in Livorno viel zu früh an der Fähre ein und brüten stundenlang auf dem Parkplatz in der inzwischen sengenden Gluthitze. Ohne Wasser oder die Chance auf ein wenig Schatten. Fehler Nummer 3: Glaub’ ja nicht, dass der Fährenfraß besser ist, wenn der Dampfer unter der Flagge der ehemaligen Monegassischen Seeräuber Grimaldi segelt. Wir werden zukünftig aus diesen Fehlern lernen und träumen uns über das Mittelmeer nach Palermo während die Fähre Korsika und viel später Sardinien an Steuerbord passiert. 

Wir verlassen Palermo fluchtartig – kommen aber bald wieder.

Tag 06: Palermo – Cefalù (84 km)

Die Hochzeit des Präsidenten

Palermo am frühen Nachmittag: raus aus der Fähre, rein in den Verkehr und rauf auf die Autobahn. Die medienwirksame Schiesserei vor ein paar Tagen hat uns die Lust auf Palermo genommen und wir suchen lieber Schutz in Cefalù an der Nordküste. Unser Hotel mit abgesperrtem Parkplatz liegt perfekt am Rande der Altstadt. Dort finden wir wunderbare, kreative Geschäfte, tolle Bars und Restaurants, feinsandigen Strand am Ende der Altstadt mit kostenlosem Sonnenuntergang. Und den Polizeipräsidenten, der in vollem Ornat und mit großem Stolz seine bestickte Braut durch die malerische Kulisse tanzt. Wir essen eine feine Golddorade am Strand, wofür in Cefalù lediglich 15,- Euronen berechnet werden. Der Preis für große Pizzaräder liegt bei € 9,- in diesem Juwel im hohen Norden Siziliens. Erfreulich, dass an diesem wunderschönen warmen Abend noch eine Menge Budget für den einen und auch den anderen Absacker auf dem Heimweg übrig bleibt.

Taorminas Jet-Set Küste: Ruhe vor dem Sturm.

Tag 07: Cefalù – Taormina (234 km)

Der Geist von Don Corleone

Das Altstadt-Frühstück am Morgen bestätigt den Eindruck vom Vortag: Cefalù ist ein echter Geheimtipp für alle die mit dem Herzen reisen. Bis Sante Stefano surfen wir dann die verkehrslose Küstenstraße und biegen dann südlich ab und hoppeln über die löchrige SS 52 hinauf in die Berge. Als Juwel der beeindruckenden Bergsteigerei küren wir San Mauro Castelverde, während sich das Öhlins Federbein der Guzzi in die Rumpelpiste krallt. Über der Landschaft hängt der Geist von Don Corleone: in Einsamkeit gehüllte Hütten, in denen auch heute noch Menschen wohnen, die nicht gefunden werden wollen. Dann endlich bei Gangi, dem schönsten Dorf Italiens, tauchen wir wieder in die Zivilisation ein. Die legendäre SS 120 mit ihren heimtückischen Verwerfungen führt uns vorbei an der  beeindruckenden Höhlenburg Castello Sperlinga, und auch die frisch verschneite Kuppe des Ätna zeigt sich ein erstes Mal. Zweimal stolpern wir über Asphalthürden, die mitten in Kurven ohne Warnung die Straße queren – mit viel Glück halten die Felgen und ihre Speichen den Schlägen stand. Bei Nicosia biegt die SS120 nach Osten ab und die Landschaft wird vom Gelb des Ätna Ginsters überschwemmt, der zu dieser Jahreszeit in voller Blüte beide Seiten der Straße säumt. Vor dem Abstieg nach Taormina blicken wir noch von Siziliens höchst gelegener Stadt Troina bei kühlen 12°C auf das Ginsterpanorama nördlich des Vulkans. Den Ätna umrunden wir ohne Probleme, was man dann vom Zielsprint auf das wunderschöne Taormina nicht behaupten kann: mir versagen erst die Navigationskünste und später dann die Nerven. Der geplante Ruhetag unten am Meer kommt grade zur rechten Zeit.

Reitstunde auf der mehrspurigen Vulkanautobahn.

Tag 08: Taormina Ruhetag

Dauerfeuer auf dem Ätna

Tauchgang in Taorminas Touristenmeer oder Tanz auf dem Vulkan? Die Entscheidung fällt auf einen wunderbaren Ritt über die Nordflanke des Ätna. Perfekte Straße, erst durch blühenden Ginster, dann durch schattige Wälder und zuletzt durch schwarze Lavafelder. Pause beim Schilift – ungefähr dort, wo zwei Wochen später die Wanderer um ihr Leben rennen, weil der Ätna wieder einmal Feuer und Asche speien wird. Abends steht dann der Sonnenuntergang im antiken Amphitheater von Taormina auf dem Programm – ein Dauerbrenner, der seit Jahrhunderten täglich aufs Neue aufgeführt wird und sich im weichen Abendlicht tief in die Seele brennt. Zum Nachtisch gibt es eine Sightseeing Wanderung durch Mazzaro und für den Abstieg ans Meer nehmen wir die Seilbahn. Und auch am achten Tag unserer Reise verzichte ich auf das Bad im für die Jahreszeit viel zu kalten Tyrrhenischen Meer. Zum Ausgleich kredenzt uns ein wunderschöner Transvestit mit rauchiger Stimme die Lasagne des Tages und wir geniessen für den für dieses Mal letzten Abend auf Sizilien. Der Plan einer großen Inseltour in den kommenden Jahren ist beschlossene Sache.

Tropea – die Perle Kalabriens im warmen Licht der Morgenröte.

Tag 09: Taormina – Tropea (160 km)

Skylla und Charybdis und ein Fußbad im Meer

Der frühe Vogel fängt den Schwertfisch und so bollern wir in der Morgensonne über die Autostrada nach Messina. Nach den schlechten Erfahrungen mit dem Inselgehüpfe in Kroatien habe ich bereits gestern die Tickets online gekauft. Das hätte es aber nicht gebraucht, denn in Messina warten gleichzeitig vier kleine Fähren zur Querung der Meerenge auf Odysseus’ Nachfahren. Wir haben dann die Meerenge furchtlos überwunden, ohne von Skylla, dem mehrköpfigen Monster, gefressen oder von Charybdis, dem Wirbelsturm versenkt zu werden. Überhaupt ist es ein schöner Tag, denn die zwanzig Kilometer lange Küstenstraße entlang des Tyrrhenischen Meeres nach Scilla schenkt uns wunderbaren Asphalt, ideale Kurvenradien bei wenig Verkehr. Das malerische Fischerdorf Scilla, bekannt für die immer noch traditionell gepflegte Harpunenjagd auf Schwertfisch und seinen goldenen Sandstrand kennen wir schon von früher – Prädikat: sehr empfehlenswert. Anschließend fliegen wir die 70 Kilometer auf mautfreier Autobahn bis nach Mileto und stampfen durch die kalabresische Einsamkeit nach Norden, begleitet von Unmengen an Müll entlang der Stradas. Wir lernen, dass die Kollegen aus Neapel und Palermo das Müllproblem wesentlich eleganter lösen, als ihre kalabresischen Brüder von der N’drangheta. Aber wo Schatten ist, das ist auch Licht und dieses taucht jetzt die Klippe von Tropea in sanfte Rottöne. Ich stehe oben in der Stadt auf der „Piazza del Cannone” und blicke 80 Meter senkrecht hinunter auf den Strand und den Campingplatz mit den Duschkabinen, die sich später als unsere Schlafcontainer mit dem klingenden Namen „Casa Vacanze Mare Grande” herausstellen werden. Strandspaziergang zur „Grotta di tre Arche”, die wegen Renovierung gesperrt ist, Fußbad im kalten Meer, in dem ich viele September stundenlang geschwommen bin, dann wieder die vielen Treppen hinauf in die Altstadt zur Abendpizza, Absacker im Eissalon, während drei Kampfgänse unten vor der Dusche unsere Guzzi bewachen.

Ziemlich tief im Nirgendwo: die Säule des Hera-Tempels bei Crotone.

Tag 10: Tropea – Capo Colonna (199 km)

Der alte Mann und das Meer

Die freiwillige Tagwache um 06:00 Uhr schenkt mir einen einsamen, verlassenen Strand in Tropea. Mein Strand. Mein Meer. Meine Sehnsucht. Hundertmal habe ich zuhause die Webcam geklickt, die im Juli über die Strandschirme mit den gestapelten Ölsardinen schwenkt – aber als ich heute auf meinem iPhone die Webcam-Seite öffne, sehe ich nur einen einsamen alten Mann und das Meer – ein Selfie der besonderen Art. Wir nehmen den Cappuccino in unserem Lieblingsrestaurant direkt am Strand, bevor wir uns vom Acker in Richtung Pizzo machen. Als Seemann im Ruhestand weiss ich um das Geheimnis der „Piedigrotta” und schleppe Lisi in die weltweit einzigartige Grottenkirche bei Pizzo: sie wurde zum Schutz eines Madonnenbildes erbaut, das der Legende nach von drei Schiffbrüchigen Ende des 17. Jahrhunderts nach ihrer Rettung errichtet wurde. In dieser Höhle schlugen dann zwischen 1900 und 1979 Alfonso und Emilio Barone zahlreiche Skulpturen aus dem weichen Tuffstein. Ziemlich beeindruckt queren wir den kalabrischen Vorderfuß Richtung Süden und fliegen dann der Schuhsohle entlang nach Crotone. Im „B&B Mare Calabria”, irgendwo im Nirgendwo mit Blick auf die berühmte Säule von Capo Colonna, verteidigt Jack the Wolf die Einfahrt, bevor er uns schwanzwedelnd in sein Rudel aufnimmt. Capo Colonna in der Nachmittagssonne: ein Bunker, ein Turm, eine Kirche und die Säule des Hera Tempels – die Geschichte der Menschheit vereint auf wenigen Quadratmetern. Restaurant gibt es hier keines, aber ein paar Kilometer weiter finden wir Futterstellen in Crotone. Romantische Heimfahrt im letzten Licht des kalabresischen Südens, selbst gemachter Limoncello unter freiem Himmel, schwanzwedeln mit Jack – „What a wonderful world…”

9.000 Jahre alt und immer noch eine Reise wert: Matera.

Tag 11: Crotone – Matera (251 km)

Espresso aus der Bialetti, kein Bier in Matera

Mama kocht im besten B&B der Welt. Kaffee aus der Bialetti, ofenwarmer Kuchen, selbstgepflückte Marmelade. Jack freut sich riesig auf uns und wir schauen ein letztes Mal hinunter aufs Meer, und die Hera-Säule von Capo Colonna. Dann tauchen wir ein in den Regen und das Paradies für Harley- und Warnwestenfahrer: 100 Kilometer mit langen Geraden, gefährlichen Links-Rechts Kreisverkehrsschikanen, heisse Überholmanöver von tausenden Fiat Pandas. Wir langweilen uns entlang der italienischen Stiefelsohle auf der E90, lunchen in der ehemaligen normannischen Küstenfestung aus dem 11. Jahrhundert „Castello di Roseto” in Roseto Capo Spulico, bevor wir bei Metaponto vom Ionischen Meer scharf links abbiegen. Das spektakuläre Matera nimmt uns auch diesmal wieder den Atem. Wir parken die Guzzi direkt vor unserem Apartment in der Sassi von Matera, unter lautstarkem Protest der Hotelzicke von gegenüber. Nach dem Theater plagt uns viel zu früh der Hunger in der 9.000 Jahre alten Stadt. Um 18:00 hat nur ein Restaurant geöffnet. Die Bedienung ist unfreundlich, das Zapfbier ist ausgegangen und ausserdem wird es empfindlich kalt. Als wir dann frierend frustriert den Heimweg antreten, haben hunderte Restaurants geöffnet: fantastische Kellergewölbe, kleine Tischchen vor frisch getünchten, uralten Häusern, romantische Plätze und Plätzchen – überall wird gekocht, gegessen, getrunken und gelacht. Wir aber sind jetzt leider satt, also kaufen wir eine Flasche Primitivo Calabrese und flüchten in unsere fantastische „Residenca Gomera”. Dort steht mitten im Wohnzimmer eine XL Badewanne (!). Ich nippe am Primitivo und schmettere zum Leidwesen der gesamten Umgebung eine Arie nach der anderen ins nächtliche Matera.

Wehrtürme aus alten Zeiten säumen den Absatz Italiens.

Tag 12: Matera – Gallipoli (179 km)

Mehr Gastfreundschaft geht nicht

Frühstück in Matera in einer einheimischen Bar: Bella Italia! Anschließend „The long and windig road” nach Süden bis Tarent. Der Wind böt heftig, schüttelt Ross und Reiter ziemlich durch und die weitläufige Industriezone rund um Tarent räumt mit dem Vorurteil des „faulen Südens” auf. Ab Lizzano ändert sich die Landschaft – kilometerlange Weinfelder direkt am Meer, Austernbänke im Meer und dazwischen Dünenlandschaft wie im hohen deutschen Norden. Wir sehen einsame Strände und wir sehen den Müll am Straßenrand und über allem liegt der Atem des Meeres. Wollt ihr südlichen Italiener nicht endlich euren Müll aufräumen? Und wer soll eigentlich in den chaotisch in die Pampa hinein betonierten Ferienanlagen wohnen, kilometerweit von den Stränden entfernt? Und weil niemand diese Fragen beantwortet, verlieben wir uns ins malerische San Isidoro, wo auch die Küstenstraße plötzlich besser wird. Ein paar Kilometer weiter, in Santa Catarina, dann plötzlich Villenalarm mit Traumhäusern, Pinienparks, elektrischen Zäunen und manch sonnenbebrilltem Portier. Im heutigen Etappenziel Gallipoli dürfen wir in die „restricted area” fahren. Mario sorgt für die Einfahrgenehmigung, Mario führt dort sein bezauberndes B&B „Corte Casole” in der Altstadt auf der Insel, die über eine Brücke mit dem Festland verbunden ist. Mario hat für die Guzzi die Garage seines Vaters beschlagnahmt, Mario zeigt uns den Platz zum Wäsche waschen, Mario hat einen Gemeinschaftskühlschrank, Mario führt sämtliche Handy-Ladekabel und Mario ist der Lastesel für unser Gepäck – mehr süditalienische Gastfreundschaft geht nicht. Und dann wird es Nacht in Gallipoli: Alte Männer auf den Parkbänken. Leere Gassen, nur in den zwei Straßen rund um die Kirche herrscht reges Treiben in den Bars. Fantastischer selbst gefangener Fisch in der Osteria „San Angelo”. Sehr viele „a vendesi” Schilder auf alten Villen. Gallipoli, eine Stadt zum Verlieben. Eine Stadt zum Bleiben.

Gallipoli – „die schöne Stadt” an Apuliens Westküste.

Tag 13: Gallipoli – Santa Maria di Leuca (160 km)

Wo Petrus einst an Land gegangen ist

Gallipoli am frühen Morgen: der leere Strand am Rande der Altstadt. Fischer mit ihren langen Ruten auf der steinernen Mole. Alte Männer flicken Netze. Und Mario, der sein B&B mit der Präzision einer süditalienischen Machete zelebriert – Widerspruch ist völlig zwecklos und sogar an ein Papiersackerl für süße Törtchen zum Mitnehmen hat er gedacht. Die Guzzi scharrt bereits mit den Hufen, zeigt nach Süden, wir wollen ans Ende der Welt. Schlechte Straßen – nochmals Dank an das Öhlins-Federbein der V85TT, hässliche Häuser, schöne Strände und hin und wieder eine gemütliche Strandbar säumen den Weg. Im Sunset Café nach dem Torre Suda treffen wir zwei Deutsche, die eben erst vom Schwarzwald hierher ausgewandert sind. Wir fragen uns warum, denn die gesamte Westküste ist für mich eher enttäuschend. Mit Ausnahme von Maria de Luca, der Stadt am Ende des Stiefels, dem Ende Italiens und lange Zeit dem Ende der Welt. Der berühmte Leuchtturm, die Basilika, in der gerade gehochzeitet wird, das charmante Fischerdorf: viele Gründe, um wieder zu kommen in den tiefen Süden Italiens. Selbst Petrus soll hier einst bei seiner Reise nach Rom an Land gegangen sein. Zurück dann entlang der Ostküste und plötzlich bist du in einem anderen Land: perfekter Rennasphalt, geniale Streckenführung, liebevoll gestaltete Steinhäuser entlang der Küste, der Weg nach Otranto ist perfektes Motorradfahren. Nach der Kaffeepause unten am Hafen scheuchen wir die Guzzi nach Westen im vollen Karacho übers Land und schaffen es zum Sonnenuntergang nach Gallipoli. Dort platzen wir in eine der berühmten Prozessionen: kräftige junge Männer schleppen die Statue der Hl. Agatha durch die Altstadt, die Musik spielt dazu, die Glocken läuten, die Menschen singen und bewerfen die Statue mit Blüten, dann schließen sich die Tore der etwas groß geratenen Kathedrale, es wird wieder still und die Nacht zieht über Gallipoli, das übersetzt nicht umsonst „Schöne Stadt” heißt.

Alberobello – Stadt der Rundhäuser mit Kegeldach.

Tag 14: Gallipoli – Alberobello (175 km)

Jakuzzi statt Wasserschaden

Ein weiteres Mal überqueren wir die Brücke von Gallipolis Bratpfanne – so nennen die Eingeborenen ihre Altstadt – in Richtung Festland. Diesmal geht es weiter nach Lecce. Die einladende Barockstadt verdiente weit mehr Zeit als einen schnellen Cappuccino beim Justizpalast. Auf dem Weg nach Ostuni überholen wir eine Moto Guzzi Policia, die uns mit Sirenengeheul grüßt. Später begegnen wir uns wieder, bereits wie alte Freunde. Der Guzzista gehört zum Club Bari, sein Freund zum Vespa Club Ostuni und wir tauschen Club T-Shirts, Sticker und Patches und haben großen Spaß in der Hinterhofwerkstatt des Vespa-Präsidenten. Ostuni selbst ist zu touristisch, zu heiss und die Kellnerinnen sind schon in der Vorsaison unfreundlich. Lohnender wird der Besuch im ruhigen Martina Franca mit seiner sehenswerten Altstadt und der Kunstinstallation „Building Bridges” von Lorenzo Quinn, die auch schon in Venedig und Vieste zu sehen war. Höhepunkt des Tages, wenn nicht der bisherigen Reise, wird der Besuch von Locorotondo, wo wir durch Zufall landen. Chillige Atmospähre, weiß gekalkte Häuser, malerische, enge Gassen, liebevoll gestaltete Restaurants und Bars – alles wirkt ungezwungen, leicht, echt. Die interessante Architektur der „Runden Stadt” soll angeblich von schiffbrüchigen Flüchtlingen des Trojanischen Krieges begründet worden sein. Später dann der Einzug der Guzzi in Alberobello: das Schild „Trulli Center” zeigt nach links, Google schickt uns nach rechts: über den Busparkplatz, vorbei am Tenniscenter und dann stehen wir da, vor unserem reservierten Trulli mitten in der verwunschenen Pampa. Die Begrüßungsfrau teilt uns untröstlich mit, dass unser Trulli wegen einem Wasserschaden unbewohnbar ist, und wir ihr jetzt in den Ausweichtrulli folgen sollen. Dieses Rundhaus mit seinem Kegeldach entpuppt sich als Lotto-Sechser: mitten im Trullizentrum, mit einer privaten Garage in der Nähe und einem Jakuzzi im Wohnzimmer. Hausmeister Hugo fährt zudem Moto Guzzi und zeigt uns Fotos seiner V7 und will auf der V85TT probesitzen. Dann die Hiobsbotschaft von zuhause und wir brechen die Reise ab, stornieren die Hotels in Polignano, Vieste, Ortano, Ravenna, Tavullia, Chioggia und den Tisch im berühmten Grotta Palazzese und den Ritt über den Gran Sasso. Am nächsten frühen Morgen beladen wir die Guzzi, die mitten in der Fußgängerzone von Alberobello mit den Hufen scharrt, 1.200 lange Kilometer Stiefelautobahn liegen vor uns.

Last Exit Gardasee nach1.200 km über die Stiefelautobahn.

Epilog

Gemischter V2 Konvoi nach Norden

Wir sitzen in einem Restaurant in Norcia. Mit am Tisch die beiden Fat Boys Christian und Martin. Wie das Leben so spielt, haben wir uns auf einer Raststätte bei Bari zufällig getroffen und fahren jetzt gemeinsam nach Norden, mit unserer zierlichen Guzzi und den beiden Eisenhaufen mit verkehrt eingebauten 2V-Motoren. Christian wohnt in meiner Stadt und ich habe ihn vor gefühlten 30 Jahren zum letzten Mal gesehen. Wie er mich auf der Raststätte im tiefen Süden Italiens erkennen konnte, wird ewig ein Rätsel bleiben. Übrigens: Norcia bietet alles, was das Wildschwein hergibt und noch ein wenig mehr. Tags darauf beziehen wir dann in Bardolino am Gardasee das B-City Hotel mit zwei Balkonen, von denen einer auf eine Eni-Tanke, der andere auf eine Esso-Benzinerie zeigt. Wir stürzen in den Abend und beim nächtlichen nachhause Weg leicht ab, weil wir einen Alleinunterhalter, der acht Gäste in einer 300 Plätze Open-Air Disco bespaßen muss, proaktiv auf der Bühne unterstützen. Zum Frühstück im B-Hotel erblicken wir dann den neben dem Buffet zentral platzierten Sektkübel, der von deutschen Gästen bereits begeistert frequentiert wird. Wir verabschieden uns von den beiden Harley-Treibern und heizen via Brennero zurück zu den Sorgen.

Infobox / Routenplaner

Motorradtour mit der Moto Guzzi V85TT

Italienische Stiefeltour: Routen, Hotels & Reisetipps

Comosee, Iseosee, Cinque Terre, Nord-Sizilien, Kalabrien, Apulien

Motorradtour über 2.200 Kilometer vom Bodensee bis nach Apulien (one way und ohne Seemeilen). Von Apulien aus gibt es zwei attraktive Routen zurück nach Westösterreich:


Über Italien: von Alberobello aus nach Polignano über Castel del Monte, Vieste nach Ortona, dann via Norcia über den Gran Sasso nach Ravenna. Anschließend über Tavullia (Valentino Rossi!) und den Monte Busca (kleinster Vulkan der Welt) nach Ravenna, weiter nach Chioggia/Venedig und natürlich über den Passo San Boldo durch das Südtirol. Und wer noch Lust hat, nimmt das Stilfser Joch und den Umbrailpass mit.


Über Kroatioen: Fähre ab Bari nach Durres (Albanien) – die Dubrovnik-Fähre kann kurzfristig ohne Grund abgesagt werden. Dann über die wunderbare Jadranska Magistrale oder das Hinterland in den Norden und über Slowenien bzw. Udine nach Kärnten. Von dort dann über das Osttirol oder den Großglockner wieder nach Westösterreich. Siehe dazu auch unseren Reisebericht „Rund um die Adria”.


Weitere Infos zur Reise:
  • Die Cinque Terre ist mittlerweile auch während der Vor/Nachsaison völlig überlaufen. Auch mit der Bahn ist das Weiterkommen sehr mühsam. Empfehlenswert ist es, nach Bonassola auszuweichen – auch Monterosso ist noch halbwegs erträglich.
  • Zur Fähre: wie alle südlichen Fähren bietet auch Grimaldi nur sehr durchschnittliche Kulinarik - zudem wird das SB-Restaurant nur zeitlich begrenzt geöffnet, was enorme Staus nach sich zieht. Unbedingt beachten, dass beim Check-In in Livorno keinerlei Schatten vor der Sonne schützt – deshalb eher spät einchecken und ausreichend Trinkwasser mitnehmen!
  • Sizilien: die Straßen sind teilweise in sehr schlechtem Zustant - für Reiseenduros kein Problem, aber mit Sportmotorrädern teilweise gefährlich. Die Preise hingegen sind für Mitteleuropäer ein Traum: in Cefalù haben wir 2025 für eine Golddorade nur € 15,- und für Pizza € 10,- bezahlt. Den ausgezeichneten Cappuccino gibt es immer noch um € 1,50.
  • Die Menschen in Süditalien sind extrem hilfsbereit und freundlich – auch wenn es sprachlich nicht immer klappt, irgendwie wird jedes Problem gelöst. 
  • Probleme mit Streckenposten gab es überhaupt keine – obwohl wir in den Bergen teilweise sehr zügig unterwegs waren.
  • Tipp für Orte mit sehr viel Tourismus, z.B. Alberobello: am besten dort nächtigen und tagsüber die Gegend erkunden – gegen Abend sind die Touristen dann weg und du hast die Perlen Apuliens ganz alleine für dich.
  • Die Ostküste des Stiefelabsatzes ist völlig untinteressant – der Westen dagegen wurnderschön.
Tag 1
Feldkirch – Mandello del Lario

Distanz: ca. 202 km

Hotel: Alla Torre del Barbarossa

https://www.allatorredelbarbarossa.it

Tag 2
Mandello del Lario – Iseo

Distanz: ca.86 km

Hotel: Ambra Hotel

https://www.ambrahoteliseo.it

Tag 3
Iseo – Bonassola

Distanz gesamt: 241 km

Hotel: Pensione Moderna

http://www.pensionemoderna.it


Tag 4
Ruhetag Cinque Terre

Monterosso, Vernazza, Corniglia,

Manarola, Riomaggiore

https://www.cinqueterre.eu

Tag 5
Bonassola – Livorno

Distanz gesamt: 153 km

Fähre Livorno - Palermo

https://www.grimaldi-lines.com/de

Tag 6
Palermo – Cefalù

Distanz: 71 km

Hotel: Retro Rooms

https://www.booking.com/Share-EdO35Qk

Tag 7
Cefalù – Taormina

Distanz: 205 km

Hotel Gallodoro

https://www.hotelgallodoro.it

Tag 8
Taormina – Ätna

Distanz: 103 km

Ätna Exkursionen:

https://guidetnanord.com/de

Tag 9
Taormina – Scilla – Tropea

Distanz gesamt: 164 km

Hotel: Casa Vacanza Mare Grande

https://www.booking.com/Share-oTl762

Tag 10
Tropea – Capo Colonna

Distanz: 253 km

Hotel: B&B Mare Calabria

https://www.booking.com/Share-pNNF3ju

Tag 11
Crotone – Matera

Distanz: 266 km

Hotel: Residenca Comera

https://www.residencecomera.it

Tag 12
Matera – Gallipoli

Distanz: 179 km

Hotel: B&B Corte Casole

https://www.cortecasole.it

Tag 13
Gallipoli – Santa Maria di Leuca – Gallipoli

Distanz gesamt: 158 km

Infos Santa Maria:

https://visit.puglia.it/de/santa-maria-di-leuca

Tag 14
Gallipoli – Alberobello

Distanz gesamt: 155 km

Traditionelle Trullis:

https://www.trulliepuglia.com