Motorrad-Reise durch ein unbekanntes Spanien
von Ulli und Horst Lampelmayer
Die Messer sind schon längst gewetzt, die Vorbereitungen abgeschlossen. Vollgetankt und vollgepackt starten Horst mit seiner Frau Ulli und ihrem Guzzi-Gespann von Dornbirn aus in Richtung Spanien. Ihr Ziel ist Galizien, dem äußersten Nordwesten der Iberischen Halbinsel.
Nach einer Übernachtung an der Quelle des Doub fahren wir quer durch den Süden von Frankreich. Unsere bevorzugten Strecken führen über Landstraßen und Karrenwege. Bei Espalon erreichen wir das unglaublich idyllische Flüsschen Lot. Aus dem Zentralmassiv kommend führt es schnurstracks nach Westen. Etwa 200 Kilometer weit folgen wir dem Gewässer, immer darauf bedacht, so dicht wie möglich am Fluss entlang zu fahren. Zwei Tage später machen wir uns über den über 1000 Meter hohen Puerto de Ibañeta zur Grenze nach Spanien auf, nach Pamplona. Über Estella und Santa Cruz erreichen wir Spanien. Entspannte 1500 Kilometer haben wir hinter uns.
Es regnet, es ist kalt, es ist August
Zunächst halten wir uns südlich der Atlantikküste und umfahren große Städte wie San Sebastian, Bilbao und Santander im Landesinneren. Nach Gesaltza Añana treffen wir auf den Rio Ebro, den größten Fluss Spaniens. Spektakulär ist die Schlucht entlang des Embalse de Sobrón bis zum Stausee Embalse del Ebro.
Es regnet, es ist kalt, es ist August, und wir sind in Spanien – das hätten wir nicht erwartet. Außerhalb von Reinosa finden wir eine warme und trockene Unterkunft. Eine Etappe weiter sind wir in Kantabri- en, und das Wetter entspricht langsam wieder unseren Vorstellungen. Über den fast 1000 Meter hohen Puerte de Tajahier- ro und wunderbare Passstraßen gelangen wir auf die Nordseite der Picos de Europa.
Es geht stets bergab, und bald sehen wir vor dem Ort Ribadesella das kantabrische Meer schimmern.
Auf kleinen Bergstraßen lassen sich die Picos wunderbar erkunden. Es ist ein bizarres Bergmassiv mit engen Tälern und gewundenen Straßen. In den Felswänden nisten Gänsegeier und Steinadler, und in den Wäldern gibt es Wölfe und Braunbären. Bleibt das Gepäck auf dem Campingplatz, ist es ein besonderer Genuss, bis in die hintersten und höchsten Winkel zu fahren. In Treviso endet die Straße, und dort bringt man mir mit viel Spaß bei, wie man Sidra, Apfelwein, einschenkt – und trinkt! Eine Wohltat für unsere durstigen Kehlen.
Nordspanien ist ein Land mit sehr unterschiedlichen Regionen. Im Norden As- turiens reichen die Wiesen, Felder und Wälder bis direkt ans Meer. Immer wieder fahren wir in Sackgassen hinein und einige Kilometer hinaus zu den Faros, den Leuchttürmen. Es sind die schönsten Plätze mit weiter Sicht über die Küste, weit hinaus auf den Golf der Biskaya.
Wir fahren zwischen 200 bis 300 Kilometer am Tag, und wenn uns ein Campingplatz gefällt, bleiben wir zwei Nächte. So haben wir genügend Zeit für Ausflüge und Touren in die nähere Umge- bung. Dieses entspannte Reisen führt uns in abgelegene Dörfer, weitab von Touris- tenströmen. Bleiben wir stehen für einen Drink und Tapas, sind wir gleich von Einheimischen umringt, die wortreich das Gespann begutachten.
Bei der Rückfahrt vom Faro Punta de Candelaria, einem sehr einsamen und malerisch gelegenem Leuchtturm, plat- zen wir in Santo André de Teixido in ein Fest hinein. Bei ausgelassener Stimmung wird viel gebechert, halbe Schweinesei- ten liegen auf dem Holzkohlegrill, und allerorten wird musiziert und gesungen. Leider müssen wir bald wieder aufbrechen. Bis zu unserem Zeltplatz geht es über unbekannte Wege zurück, und ich muss wachsam sein: Kühe, Pferde, Schafe und Ziegen stehen und liegen neben und auf der Straße.
An vielen der Wohnhäuser stehen aus Stein gemauerte Speicher, die Horreos. In ihnen werden Maiskolben, Getreide, Kar- toffeln, Rüben und vieles mehr trocken und geschützt vor Ungeziefer gelagert.
Einige Tage später machen wir einen Abstecher entlang der Costa da Morte, der Todesküste. Wir finden angenehme Bars, wo es zu jedem Drink – natürlich – Tapas gibt, und besuchen am Cabo Vilán ein Museum, in dem viele Schiffskatastrophen an der Costa de Morte dokumentiert sind; verunglückt an der felsigen Küste mit unberechenbaren Strömungen. Dem Auge bietet die Todesküste ein Bild wilder, herber Schönheit, zerklüfteter Steilküsten und wundervoller Sonnenuntergänge.
Am nächsten Tag erreichen wir am Cabo Touriñán den westlichsten Punkt von Festlandspanien. Immer wieder bleiben wir stehen und gehen zu Fuß bis zum Klippenrand oder klettern gar bis zum Wasser hinunter. Das Rauschen der starken Brandung ist beeindruckend, und deutlich macht uns die Weite des Meeres bewusst: Hier endet unsere Fahrt nach Westen. Unweit liegt das Cabo Fisterra, das Ende der Welt, wie man vor einigen hundert Jahren noch vermutete.
Nach 3370 Kilometern erreichen wir den Ort Praia de Lariño. Hier mieten wir uns einen Bungalow. Der Wetterbe- richt kündigt sehr schlechtes Wetter an, was nicht ungewöhnlich ist in Galizien. Tatsächlich zieht eine furchterregend schwarze Unwetterfront heran, und wir sind heilfroh, unter einem festen Dach zu schlafen.
Einmalig ist die spanische Küche. In den Restaurants gibt es fast überall das preisgünstige menú del dia. Im come- dor, dem Speisesaal, ist schon gedeckt. Die Bedienung bringt einen Krug frisches agua und erzählt uns in sehr schnellem Spanisch, was die Küche zu bieten hat. Wir sind immer zufrieden, wenn nicht gar begeistert von dem leckeren Essen – auch dann, wenn wir nicht verstehen, was uns da serviert wird.
Selbstverständlich besuchen wir auch das Reiseziel jedes Jakobwegpilgers: Santiago de Compostela. Mit unserem Gespann finden wir zuvorderst einen Parkplatz, an der Plaza de Galicia. Die Polizei lässt Motorräder fast überall parkieren.
Von der UNESCO erhielt die Stadt 1985 das Prädikat „Kulturerbe der Menschheit“. Auch wir spüren den Hauch des Geheimnisvollen in den stil- len, schattigen Winkeln und düsteren Gängen unter uralten Arkaden. Natürlich besichtigen wir die Kathedrale mit dem legendären 80 Kilogramm schweren Räucherfass. Der Streifzug durch die Stadt ist ein Erlebnis.
Nach einer Maschinendurchsicht starten wir bald in Richtung Portugal. In Santa Tegra campieren wir am Grenzfluss zu Portugal am Rio Minho. Weiter geht es nach Porto. Dort, an der Mündung des Douro, sind die Rabelos vertäut, und ab hier folgten wir die nächsten Tage dem Flusslauf des Douro/Duero. Entlang des Grenzflusses wechselt immer wieder die Landschaft. Von den sehr weiten Rebenfeldern und Terrassen am Fluss bis hoch hinauf in die Schluchten und Täler des Doero-Tales sehen wir die unzähligen Traubenleser bei ihrer Arbeit.
Unser Ziel ist die Quelle des Duero. Die Straßen sind meist in gutem Zustand und abwechslungsreich. Bis zur Grenze bei Miranda do Douro durchzieht der Fluss bis zu 400 Meter tiefe Schluchten. Abends beschließen wir den wunderbaren Tag mit einer Flasche Rotwein und einem leckeren Ziegenkäse, dazu einer Platte mit Bellota-Schinken vom iberischen Schwein.
Wir sind wieder in Spanien, in der Provinz Kastilien-Leon und mitten im Naturpark Aribes. Diese Gegend wird geprägt durch die Schönheit und Ursprünglichkeit des Duero-Flusses. Auf unserer Fahrt Richtung Toro bleiben wir so nahe wie möglich am Duero. Seine teilweise senkrecht abfallenden Schluchten sind faszinierend und bieten uns spektakuläre Ausblicke.
Nach der Grenze ist die Landschaft ziemlich karg. Erst hinter Medina wird es grüner, auch hier wird Wein ange- baut. In Aranda de Duero – ein kleiner, sehenswerter Ort, über dem eine mächtige Burg wacht – steigen wir am Abend den Hügel hinauf und genießen den Blick vom Castillo de Peñaranda de Duero weit übers Land.
Diese Fahrt über 700 Kilometer entlang des Duero ist malerisch schön, wild, einzigartig, prachtvoll und beeindruckend. Durch das Rioja-Gebiet bollert die Guzzi bis Ejea de los Caballeros, das schon wieder im Aragon liegt.
In Riglos besuchen wir die Malos de Riglos. Es sind rote Konglomerat Felstürme, ein Paradies für Kletterer aus der ganzen Welt – und für Fotografen. Nach einem guten Glas Rioja, am Fuß eines solchen Riesen, fahren wir über Ordoves eine sehr schmale, einsame teils sehr schlechte Straße bis Ainsa, wo ns kurz davor ein schweres Unwetter überrascht und mich bis auf die Haut durchnässt.
Inzwischen ist es Ende September geworden, als wir über die Route des Pyrenees durch den Tunnel de Bielsa bis in der Nähe von Lourdes fahren. Unvermittelt biege ich in Guchen links ab. Ein superschmales Sträßchen führt uns auf den Cabanes de Camoudiert hinauf. Wir sind fast alleine und bereuen diese Entscheidung nicht. Eine wunderbare Aussicht über die ringsum nahen zentralen Pyrenäen und auf unzählige Ziegen lassen uns absteigen, um den Augenblick zu genießen.
Das Wetter verschlechtert sich wieder, und wir pausieren mit der Fahrerei. Wir besuchen Lourdes und die sehenswerte Grotte de Betharram, ein guter Schlechtwetter-Ausflug für Motorradreisende. Wieder in Frankreich angelangt, lassen wir uns noch 14 Tage Zeit für die Heimreise. In Bouziers beschließen wir spontan, noch die Vulkankegel der Auvergne zu besuchen. In Naussargues Moissac finden wir für drei Nächte eine angenehme Unterkunft, von der aus wir bei bestem Wetter noch einige Touren fahren.
Es geht weiter Richtung Heimat. Bei Regen und kühlen Temperaturen geht es über Barcelonnete und die Grenze nach Italien. In Cuneo treffen wir Alessandro in seiner Moto-Guzzi-Motorradwerkstatt. Ihn kennen wir schon viele Jahre von unseren Fahrten ins Piemont. In Dogliani finden wir eine schöne Unterkunft, und bei traumhaftem Herbstwetter genießen wir den Ausblick auf die Weinberge. Nach acht Wochen und über 7000 problemlosen Kilometern mit unserem Guzzi-Gespann sind wir wieder zu Hause und planen schon fürs nächste Jahr eine Tour nach Sizilien.
Reiseberichte von Horst & Ulli Lampelmayer erscheinen egelmäßig in der Zeitschrift Motorrad-Gespanne.